BGH bestätigt: Kündigung wegen Insolvenzantrag nach § 8 VOB/B wirksam
Der 7. Senat des BGH hat mit seiner Entscheidung vom 07.04.2016 – VII ZR 56/15 die Regelung des § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B 2009 (Eigenantrag des Auftragnehmers auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens) als insolvenzabhängige Lösungsklause für wirksam erklärt.
Zur Erinnerung: Der 9. Senat des BGH hatte im November 2012 für Verträge über fortlaufende Lieferungen von Waren und Energie eine gleichgelagerte Regelung für unwirksam erklärt, weil dadurch das Wahlrecht des Insolvenzverwalters, die Erfüllung des Vertrages zu wählen, ausgehebelt würde. Daran schloss sich die rechtliche Diskussion, ob dies nun auch für den Werkvertrag nach VOB/B gelten würde.
Diese Frage hat der BGH nun mit einen gut begründetem „Nein“ beantwortet. Die von der Entscheidung des 9. Senat abweichende Wertung begründet der 7. Senat mit dem Kooperationsgedanken und dem besonderen Vertrauensverhältnis im Rahmen eines Werkvertragsrechts. Auch unter Berücksichtigung der bestehenden Regelungen zum außerordentlichen Kündigungsrecht und Schadenersatz wegen Verletzung von Nebenpflichten weiche die Kündigungsmöglichkeit des § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B nicht in unangemessener Weise von gesetzlichen Leitgedanken ab.
Die Regelung des § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall2 VOB/B ist nicht wegen Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot nichtig (§134 BGB). Ein Verstoß gegen §§ 103, 119 InsO liegt nicht vor. Danach kann der nach Eröffnung bestellte Insolvenzverwalter wählen, ob er den Vertrag erfüllt. Die Kündigungsmöglichkeit des Auftraggebers bereits bei Stellung eines Antrags auf Insolvenzeröffnung steht im Einklang mit der Möglichkeit eines jederzeitigen Kündigungsrecht nach § 649 BGB.
Auch die mit § 8 Abs. 2 Fall 1 VOB/B verbundene, im Falle der freien Kündigung nach § 649 BGB nicht vorgesehene Rechtsfolgen, wonach der Auftraggeber nur die erbrachten Leistungen zu vergüten hat und darüber hinaus wegen Mehrkostenaufwand für die Fertigstellung der Leistung gegenüber dem Auftragnehmer einen Schadenersatzanspruch wegen Nichterfüllung geltend machen kann, verstoßen nicht gegen Insolvenzrecht. Denn der Insolvenzverwalter müsse die Verträge so hinnehmen wie sie im Falle der Insolvenzeröffnung bestehen.
Die Kündigung und die weiteren Rechtsfolgen sind auch angesichts der Zielsetzung des Insolvenzrechts (gemeinschaftliche Befriedigung aller Gläubiger) wegen der besonderen Interessenlage der am Bauvertrag Beteiligten sowie deren engen Anlehnung an gesetzliche Lösungsklauseln hinzunehmen.
Die besondere Interessenlage des Bauvertrags ergibt sich u.a. daraus, dass sich grundrechtlich geschützte Rechte gegenüberstehen, die in einem Abwägungsverhältnis zu stellen sind. Der werkvertragliche Erfüllungsanspruch und der daraus resultierende Schadenersatzanspruch im Falle der Nichterfüllung sind über die Eigentumsgarantie des Artikel 14 GG geschützt. Artikel 2 GG schützt die Vertragsfreiheit der Parteien, also auch das Recht Lösungsrechte zu vereinbaren. Ebenfalls unter das grundrechtlich geschützte Eigentumsrecht fällt der Schutz der Insolvenzgläubiger auf Realisierung ihrer Forderungen, dem das Wahlrecht des Insolvenzverwalters dient. Das Recht des Auftraggebers ist vorrangig, wenn ihm ein Festhalten am Vertrag ohne Anspruch auf Schadenersatz nicht zumutbar ist. Dies ist aber nach Auffassung des BGH regelmäßig der Fall. Denn für den Auftraggeber bedeutet ein Zuwarten bis zur Entscheidung des Insolvenzverwalters eine erhebliche Zeitverzögerung im Bauvorhaben und damit einhergehend oft erheblicher Schaden. Zudem sind in einem Bauvertrag die persönlichen Eigenschaften des Auftragnehmers (Fachkunde, Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit) und das daran anknüpfende Vertrauen des Auftraggebers von erheblicher Bedeutung, so dass eine Änderung hier dem Auftraggeber ein Festhalten am Vertrag oftmals nicht zumutbar sein wird. Ist das Vertrauensverhältnis aber gestört, sieht § 314 BGB seinen Rechtsgedanken nach ein Recht zur außerordentlichen Kündigung vor. Diese im Werkvertrag begründetet Besonderheiten unterscheiden sich erheblich von dem der Entscheidung des 9. Senat zugrundeliegenden Sachverhalt, so dass der BGH hierzu mit seiner Entscheidung keine Abweichung sieht.
Auch unter Berücksichtigung einer AGB-Prüfung bleibt es bei der Insolvenzfestigkeit der Regelung. Denn die insolvenzbedingte Kündigungsmöglichkeit weicht weder in unvereinbarer Art und Weise von wesentlichen Grundgedanken gesetzlicher Regelungen ab (§307 Abs. 2 Nr. 1 BGH) noch wird der Auftragnehmer dadurch in unangemessener Art und Weise benachteiligt (§ 307 Abs. 1 BGB).
Gegen das Leitbild des Insolvenzrecht wird nicht verstoßen. Auch die Regelung, wonach nur die bereits erbrachten Leistungen vergütungspflichtig sind, stellt keinen solchen Verstoß dar. Denn es handelt sich um eine außerordentliche Kündigungsmöglichkeit wegen eingetretenem Vertrauensverlust. Das durch den Kooperationsgedanken geprägte Werkvertragsrecht begründet einen auf lange Zeit angelegten Vertrag, welcher ein Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragsparteien notwendig macht. Dieses Vertrauen wird durch das Stellen eines Insolvenzantrages so empfindlich gestört, dass dem Auftraggeber die Fortführung nicht mehr zumutbar ist. Diesen Gedanken verfolgt die Regelung des § 649 BGB ebenfalls.
Damit im Einklang steht auch die verschuldensunabhängige Haftung des Insolvenzschuldners für Schadenersatzansprüche des Auftraggebers. Denn diese Rechtsfolge des § 8 Abs. 2 VOB/B steht im Einklang mit den Regelungen der §§ 280 Abs. 1, 3; 282; 241 Abs. 2 BGB. Die Vertragsparteien sind zur wechselseitigen Rücksichtnahme verpflichtet. Dazu gehört die Pflicht, das Vertrauen des Vertragspartners nicht nachhaltig zu stören. Gerade dies geschieht aber mit der Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Da der Auftragnehmer für seine unzureichende Liquidität im Sinne § 276 Abs. 1 S. 1 BGB einzustehen hat, handelt er auch schuldhaft.
Mit der Entscheidung des BGH ist insoweit der Rechtsfrieden wiederhergestellt.
Dr. Pils